domplatteSilvester in Köln, 19.30 Uhr, Spaziergang vom Belgischen Viertel Richtung Dom. Am Wallrafplatz empfangen uns am Stahlzaun zwei blauuniformierte Frauen mit Maschinengewehr: Durch die Schleuse bitte. Hände hoch, Bodycheck, Taschen auf, zwei Minuten zittern bei 0 Grad. Auf der Domplatte beeindrucken meine Frau und mich die Lichtilluminationen an den Häuserfassaden und am Boden. Aphorismen sind dort zu lesen, Begriffe wie „Peace“, „Gott“ und „Integration“ huschen übers Pflaster. Dazu spirituelle Musik aus Riesenboxen. Viele machen Selfies, die Japaner haben einen Stick zur Hand. Auch wir fotografieren fleißig. Ein Motiv schicken wir per WhatsApp an die erwachsenen Kinder. Das quittieren diese so: Was habt ihr dort zu suchen? Bringt euch in Sicherheit! Ja, wo sind wir hier gelandet?!

Der Dom selbst verschließt sich uns, leider. Also weiter zum Bahnhof, wo die nächste öffentliche Toilette ruft. Von der Domplatte runter. Unten am Stahlgitter wieder Dutzende Blaumänner, die uns diesmal unangetastet durchwinken. Im Bahnhof herrscht dralle Enge. Viele männliche Südländer, das fällt auf. Am anderen Ausgang des Bahnhofs sind es nicht Dutzende, sondern Hunderte Polizisten, die sich dort formiert haben. Ein Militärhubschrauber kreist in geringer Höhe über uns. Gespenstische Straßenschluchten, Scheinwerfer kreisen. Ein wenig wie Gotham-City aus dem Batman-Film. Doch wir sind in Köln, das hier ist nicht fiktiv.

Um zum Rhein zu kommen, müssen wir das Gelände weitläufig um den Musical Dome umgehen. Den Rheinspaziergang Richtung Schokoladenmuseum brechen wir in Höhe Groß St. Martin ab – zu gefährlich. Böller fliegen uns um die Ohren, was nicht lustig ist fürs Trommelfell. Für die Kracherzünder sind wir offenbar Luft. Flucht in die Altstadt. Am Alter Markt schmeckt der Döner in der Bude. Weniger schmeckt uns die Stimmung, die sich mehr und mehr Raum greift. Fröhlich und ausgelassen ist anders.

Es ist mittlerweile 21.30 Uhr. Im Handy flasht die Breaking News auf „Anschlag in einer Diskothek in Istanbul“. Anderntags erfahren wir entsetzt, dass es Dutzende Tote gegeben hat. Wir beschließen, den Jahreswechsel in dieser aufgeheizten Atmosphäre nicht wie geplant auf einer der Rheinbrücken zu erleben, sondern zurück zum Hotel nach Ehrenfeld zu spazieren. Zwischendurch wärmen wir uns im Hilton und im Maritim mit Mokka auf. Die Festsäle hier sind voll: schwarze Fracks und wallende Kleider machen tscha-tscha-tscha. Die Security bittet uns weiter. Geschlossene Gesellschaft.

Punkt 24 Uhr am Hotel. Aus der Ferne strahlt der Dom, der Dicke Pitter läutet dunkel ins Neue Jahr, Funkencrysanthemen am Himmel, der Rhein steht in Flammen. Um 1 Uhr noch mal ZDF-Nachrichten schauen auf dem Zimmer. Der Polizeipräsident wird zitiert. Alles ruhig? Alles ruhig! Die vergangene Silvesternacht war uns eine Lehre. Am andern Tag erfahren wir beim Frühstück, dass in dieser Nacht mehr als 1000 „Nafris“ – so nennt die Polizei augenscheinliche Nordafrikaner – aus allen Himmelsrichtungen in die Kölner Bahnhöfe Dom und Deutz eingerollt sind. Fast alle wurden kontrolliert, viele wieder zurück geschickt. Bis jetzt „nur“ zwei sexuelle Übergriffe, verlautet ein Polizeisprecher. Es war der größte Beamteneinsatz, den diese feierwütige Stadt je erlebt hat. Im Auto mittags heimwärts, WDR-2-Nachrichten. Am Ende der Nachrichten bittet die Landesmutter um mehr Miteinander, Franziskus prangert gesellschaftliche Kälte an. Roma locuta – Colonia finita. Wo Frau Kraft und der Papst wohl gefeiert haben?

Für uns war es ein denkwürdiger Silvestertag in Köln …

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