Marokko: Ich schau dir in die Augen, Kleines. Doch was ist hinter dem Klischee von Berberteppich, Kreuzworträtsel-Stadt mit 3 Buchstaben, Arganöl, Laurence von Arabien und dem YSL-Licht in Marrakech? Welche Auswirkungen hat der arabische Frühling auf Afrikas Nordwesten, wo es kein Erdöl gibt, dafür aber viele liebenswürdige Menschen.

Einer von ihnen ist – nennen wir ihn: Achmed, unser Reiseleiter. Der 50-Jährige ist gottgläubig, gebildet, kein Berber, aus Rabat. Achmed hat Germanistik studiert, zitiert Walter von der Vogelweide ebenso wie den Koran, freut sich auf den anstehenden Merkel-Besuch, liebt die deutschen Tugenden wie Pünktlichkeit und Disziplin. Wenn Achmed sein Land beschreibt, fällt häufig die Vokabel „liberal“. Auf Fragen zu Todesstrafe, Burkaverbot, Vielweiberei, Rolle der Frau, Monarchie holt Achmed weitläufig aus und erzählt wie Scheherazade Geschichten. Das ist sympathisch, aber ohne Aussage. Das Wetter ist schön, die Landschaft – und offenbar auch die Politik. „Die Bauern zahlen keine Steuern, dürfen dafür keine Maschinen anschaffen, damit möglichst viele Menschen auf den Feldern Arbeit finden“, erzählt Achmed. Zum arabischen Frühling kommt gebetsmühlenartig: „Die Revolution frisst ihre Kinder.“ Zum Ozonloch: „Es gibt keines. Hier herrscht von jeher mediterranes Klima.“ Chinesen mit Selfie-Stick, Mundschutz und Sonnenschirm in den Souks von Fes (der Stadt mit den 3 Buchstaben) belächelt Achmed und wispert den deutschen Touristen mokant zu „die gelbe Gefahr“.

Am 7. Tag unserer Marokko-Rundreise machen wir uns auf eigene Faust in Marrakech auf den Weg. In der Neustadt erklärt uns ein Unternehmensberater aus Düsseldorf den Weg zum Jardin Majorelle, wo Yves Saint Laurent seine Inspiration bezog. Ein paar Mal im Jahr besucht der Mittvierziger – nennen wir ihn Rachid -, seine Eltern in Marokko. Rachid hat in Aachen Physik studiert und berät nun in Berlin das Schäuble-Ministerium. Wir bestellen eine Tajine, unterhalten uns. Sein Marokkobild ist nicht weiß (Casablanca) oder rot (Marrakech) oder blau (Rabat) gefärbt wie das von Achmed. „Es gibt keine Entwicklung, keine Innovation“, sagt Rachid. „Schauen Sie sich um: was ist zum Beispiel in Marrakech? Nichts!“

Wir sind Touristen und dankbar, dass dieses Land ist so freundlich empfängt. Die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen zwischen Achmed und Rachid. Schwarz-Weiß ist hier ohnehin nicht angesagt, alles strahlt in prächtigen Farben. Doch was sollen die beiden auch anders sagen. Wieder zu Hause, erzählen wir unseren Freunden vom Licht, von der Wärme, von der Liebenswürdigkeit dieses westlichsten der fünf Maghreb-Staaten.

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